22.3 - 2.4.00
Tagebuch Seite 55
Kalaw - Bagan
Bergvölker, Mönchsordinationen, Systemfeinde und antike Städte

Wir tun uns mit einem anderen Paar zusammen und mieten wiederum ein Auto, um nach Kalaw zu kommen. Das Mieten eines Fahrzugs mit Fahrer ist bei vier Passagieren nicht besonders teuer und wir sind während unserer bisherigen Reise zuviele male in einem Bus sitzend an den farbenfrohesten und interessantesten Dingen einfach vorbeigefahren. Es sollte sich für uns bereits nach nicht mal einer Stunde voll auszahlen, dass wir den Wagen anhalten können, wo wir wollen: Wir treffen in einem kleinen Dorf auf ein Mönchsordinationsfest, wo kleine Kinder von ihren Eltern in die Obhut des Klosters gegeben werden. Dies ist für das Kind wie auch die Familie ein ganz besondrer Tag. Mit Kostümen aus alten Zeiten und geschminkt mit traditionellen Naturfarben werden die Kinder, vor der Sonne durch kleine goldene Schirmchen geschützt, von der Darbietungshalle Richtung Kloster geführt, wo ihnen dann die Haare geschoren werden. Dieses Fest wird begleitet von traditioneller Musik, Tanz und Aufführungen. Für viele der Leute war es ein besonderes Zeichen, dass wir Fremde da waren und wollten sich unbedingt von uns fotografieren lassen. Um so besser für uns, denn normalerweise sind wir an solchen Anlässen mit unserer Kamera besonders zurückhaltend. Nach gut einer Stunde hat sich dann die ganze Prozession endgültig auf den Weg gemacht und wir fahren weiter nach Kalaw.

Kalaw ist ein kleines, lebhaftes Dörfchen mit einem sehr farbigen Markt. Man könnte fast sagen, dass das Dorf aus der Pagode, dem Markt und einigen umliegenden Häusern besteht. Auch hier ist die Temperatur schön angenehm und wir verstehen die Engländer gut, warum sie hier vor gut 150 Jahren aus dem Dorf eine so genannte "Hill Station" gemacht hatten. Auch heute noch kann man viel - wenngleich dem Zerfall preisgegebene - Residenzen sehen, die zweifelsfrei aus dieser Periode stammen.

Wir entscheiden uns, eine Eintageswanderung durch die umliegenden Berge zu machen, um einen Blick auf die hier lebenden Bergvölker zu werfen - in der Hoffnung, es sei noch nicht so wie in Thailand, wo man dieser Tätigkeit bereits die Ähnlichkeit mit dem Besuch eines menschlichen Zoos nachsagt...

Früh am nächsten Tag gehts mit unserem Guide los, der in dieser Gegend bis zu drei Tage pro Woche zu Fuss unterwegs ist und dementsprechend fit ist. Wir sind nach unserer Zeit in Bangkok jedoch nicht mehr ganz so fit und so japsen wir bereits nach einigen hundert überwundenen Höhenmetern bereits nach Luft und trinken unsere Wasserrationen leer. Es sollte aber noch viel weiter hinauf gehen, denn wir treffen erst ab ca. 1800 müM auf Dörfer. Eindrücklich ist, dass alle Berge komplett kahl sind und aufgrund der Trockenheit, Erosion und harschen Sonne nicht viel mehr als dürres, braunes Gras entlang den Hängen wächst. Unser Guide weiss zu erzählen, dass in seiner Jugend alle diese Berge komplett mit Wald - meist Teakholz - bewachsen war, bis die Regierung ihre Geldreserven aufgebraucht hatte und den Japanern erlaubte, gegen harte Dollars natürlich, ganze Landstriche abzuholzen. Das Ergebnis ist überdeutlich: radikale Klimaveränderungen und die Versteppung der Landschaft. Es ist einfach ersichtlich, dass es grösserer Anstrengungen bedürfte, um hier wieder etwas anpflanzen zu können.

In einem der vielen, kleinen Dörfern angekommen, die es irgendwie schaffen, hier zu überleben, finden wir Leute, die zwar schon Touristen gesehen haben müssen, aber ihre herzliche und einfache Art beibehalten haben und nicht nur $$$ sehen. Als wir in einem der Langhäuser beim Hausältesten vorsprechen, gestikuliert er uns, dass wir uns setzen sollen und macht sogleich Tee und Essen bereit und ist äusserst interessiert daran, woher wir kommen und was wir von seinem Land halten. Wir fragen ihn, was für ihn das Beste in seinem Leben war und die Antwort war ziemlich unerwartet: Das Beste sei der lokalen Pagode allen Reis und sonstige Einkünfte zu geben, die er für sein selbsterwähltes, kärgliches Leben nicht benötigt und bei Verkauf nur zu unnötigem Reichtum führen würde. Seine Schwester fragend bekommen wir die gleiche Auskunft. Schön ist die Tradition der Heiratsjahrringe dieses Stammes: Frauen bekommen von ihren Männern zu jedem vollendeten Jahr der Heirat einen dreifach um die Taille gewickelten Ring aus Bambus. Die drei Ringe sybolisieren die Frau, den Mann und den Wunsch nach einem weiteren Kind. Manche ältere Frauen können sich ob den vielen Ringen kaum noch bücken... Die Wanderung sollte uns noch über etliche 2000+ m Bergrücken führen und uns ganz eindeutig zeigen, dass wir unbedingt mehr für unsere Fitness tun müssen. Geschafft, aber glücklich kehrten wir nach einem langen Tag zurück und schliefen sehr, sehr bald ein.

Von der Fahrt vom Inlay See nach Kalaw überzeugt, tun wir uns mit dem gleichen Paar nochmal zusammen und entscheiden uns für eine alternative Strecke nach Mandalay, die erst seit einigen Monaten offiziell für Ausländer offen ist. Es dauert eine Weile, bis wir einen Fahrer finden, der überhaupt auf dieser Strasse fahren will, denn keiner kennt sie. Gemäss Berichten von Leuten soll diese Strecke sehr schön sein. Tatsächlich lohnt es sich wieder, anstatt eines Busses, ein privates Auto zu nehmen. Wir halten an Orten an, welche kleine Märkte haben, staunen und werden zur gleichen Zeit bestaunt. Chantal ist natürlich meist der Star, denn grösser als die meisten Männer und mit goldenem lockigem Haar können sie kaum genug von ihr kriegen. Als begleitender Mann fühlt man sich denn schon mal als hässliches graues Entlein...

Gegen Abend kommen wir in Mandalay, einer früheren Kaiserstadt, an. Mandalay selbst ist an sich eine nicht besonders schöne Stadt. Nach mehreren Bränden in grosszügigem Schachbrettmuster angelegt, navigiert man per Strassennummern. Mit dem Fahrad mit Seitenwagen, dessen Fahrer jeweils mit uns zweien ziemlich ins schnaufen kam, hört sich ein Ziel in der Stadt wie "62. Strasse, Ecke 28." an. Einfach zu merken. Ausser dem Kaiserpalast und einem Hügel, dem Mandalay Hill, gibt es noch jene weitere Pagoden zu besichtigen. Derjenige, der bis zu diesem Zeitpunkt seiner Reise noch nicht eine gewisse "Pagodensättigung" erlebt hat, wird spätestens durch die Eintrittspreise in harten FEC oder USD - von der Regierung festgesetzt - von einem ausgiebigem Besuch der Pagoden abgehalten. (Alle möglichen Pagoden in Mandalay zu besuchen kostet 53 USD - ca. 89 Fr. - Pro Kopf!!)

Nicht alles ist verloren! Mandalay kann mit etwas anderem, sehr interessanten aufwarten: Dem Zeygo-Markt. Dieser Markt, der grösste in Myanmar, ist unglaublich weitläufig und man kann sich buchstäblich während Stunden darin verlieren. Als Chantal aufgrund von einem schlechten Mahl sich den Magen verdirbt und einige Tage im Zimmer bleiben muss, vergnüge ich mich meist mit Shopping, beobachten und in einem der unzählichen Tee-Shops zu sitzen mit den Leuten zu reden.

Eine weitere interessante Institution in Mandalay sind die "Moustache Brothers". Obwohl die Brüder nicht mehr gemeinsam auftreten können, kann man hier in einer gelassenen und familiären Atmosphäre traditionelle Tänze und die verschiedenen Figuren der Tänze kennenlernen, anstatt wie sonst einfach irgendwelches Gefuchtel und irgendwelche farbig angezogenen Leuten bei komischer Musik zuzusehen. Lu Maw, einer der Brüder und selbsternannter Komödiant führt durch die Präsentation, bei der die ganze Familie mitmacht. Schon dieser Teil wäre interessant genug, einen Besuch rechtzufertigen. Der zweite - inoffizielle - Teil ist nicht minder interessant: Lu Maw's Bruder wurde vor vier Jahren vom Militär aufgrund eines leicht kritischen Witzes gegen die Regierung verhaftet und zu 7 Jahren Zwangsarbeit in ein Lager im Norden Myanmars geschafft. Seine Frau - Teil des Ensembles - muss alle drei Monate Geld und Essen für den Unterhalt ihres Mannes bringen, denn die Regierung fühlt sich nicht für die Versorgung der Gefangenen mit Essen zuständig. Sie bekommt bei diesen Gelegenheiten ihren Mann jedoch nicht zu Gesicht. Den einzigen Beweis, dass ihr Mann überhaupt noch am Leben ist, stellt die Unterschrift auf dem Warenempfangsschein dar. Traurige Geschichte und diese wird nur noch durch Lu Maw's Galgenhumor verstärkt, denn auf die Frage hin, warum denn überall in seinem Haus steht, dass es mehr als nur willkommen sei, Fotos und Videos von ihm und seiner Familie zu machen, er uns ganz offen gestand: "Damit es den Beweis unserer Exsistenz gibt, sollte die Regierung entscheiden, uns verschwinden zu lassen." - Sie sind alle bereits mehrmals von verschiedenen Stellen aufmerksam gemacht worden, dass sie sich auf dünnem Eis befinden. Auch an diesem Abend erfahren wir, dass die Regierung vor einigen Jahren die Universitäten nach Demonstrationen durch Studenten und Mönche schloss und in Mandalay alleine mehrere Hundert Mönche und Studenten erschiessen und danach in den Fluss werfen liess, um so ein deutliches Zeichen zu setzen. Deutlich in der Tat!

Als es Chantal wieder besser geht, nehmen wir das Schiff nach Bagan, einer alten Tempelstadt, ähnlich Angkor Wat in Kambodscha. Die Fahrt entlang dem Ayrawaddy, der aufgrund der schon lange anhaltenden trockenen Saison recht wenig Wasser führt ist sehr gemächlich und ein dauernder Zickzack von einer tiefen fahrbaren Rinne zur nächsten. Wir sind überrascht, dass hier in Myanmar höhere Touristenpreise in der Regel tatsächlich eine bessere Qualität an erbrachter Dienstleistung bedeuten. Heute bedeutet es, dass wir ein eigenes Deck für uns (Ausländer) alleine haben, an dessen Tür ein Schild steht: "Foreigners Only!". Nicht, dass wir eine solche Politik besonders "Erlebnisfördernd" empfinden, nein. Es war einfach in diesem speziellen Fall schön, nachdem wir um 4 Uhr morgens aufstehen mussten, in weichen Stühlen während einigen Stunden in friedlicher Stille dahinzudösen, während auf dem Myanmari-Deck um 9 Uhr morgens bereits Karaoke aus den Brüllwürfeln quoll. Wir sind immer wieder erstaunt über die Tatsache, dass Asiaten absolut immun gegenüber Lärm sind und der noch so verzerrte, schrille und vor allem falsche Ton über Stunden hinweg sie nicht aus der Ruhe bringt, oder vom einschlafen abhält. Wir sind nach gut zwei Jahren "Training" bald davon überzeugt, dass dies aufgrund genetischer Anlagen so ist, denn wir können immer noch nicht schlafen und könnten manchmal die Wände hochgehen, so schrecklich sind manchmal die Frequenzen, welche unsere Ohren erreichen...

Auf dem Weg sehen wir unmengen von Pagoden und Stupas - und noch mehr davon! Als wir uns jedoch Bagan nähern, mischen sich auf einmal zwischen die neuer aussehenden Stupen uralte Gebäude aus rotem Sandstein. Grosse, goldene Riesenstupas zeigen einen wichtigen Ort an. Und so ist es auch: Wir kommen innerhalb einer halben Stunde am Jetty (Sandbank mit Holzgerüst) an. Dort werden uns gleich die 10 Dollar "Eintritt" pro Kopf abgeknöpft - an einem kleinen Holztischchen im Sand - ohne das Ticket bekommt man in Bagan kein Hotelzimmer und die Hotels dürfen keine Gäste ohne Ticketnummer unterbingen - einfaches System. Gleich bei der Fahrt nach Nyaung Oo, der offiziellen Stadt bei Bagan, fallen uns die überall verstreuten Tempel, Pagoden, Stupen und Klosterbauten auf, welche sich im warmen Nachmittagslicht von ihrer besten Seite zeigen. Ach, meint unser Fahrer, der uns zum Hotel brachte, das sei noch gar nichts. Diese Tempel seien gar noch nicht so alt ("nur" 700 oder so Jahre) und ausserdem seien sie nicht schön. Wir würden an den 5000+ Objekten in Bagan sicherlich unsere Freude haben, sollten diese hässlichen hier uns schon gefallen...

Der Fahrer sollte recht behalten. Am Abend essen wir - keine 200 Meter vom Hotel entfernt - in einem kleinen open-air Resto, welches direkt an einem kleinen Tempel liegt, der indirekt beleuchtet wird - wunderschön & romantisch.

Das Transportmittel erster Wahl in Bagan ist die Pferdekutsche. Das Auto ist zu schnell und auch zu teurer und das Fahrrad ist was für Masochisten. Die Fahrer fungieren als Führer und wissen meist recht viel zu erzählen. Unser Kutscher, ein liebenswürdiger, 60-jähriger erzählt uns als erstes, als wir früh morgens losfahren, von der Zeit, als das Dorf Bagan dort stand, wo jetzt nur noch die Tempel sind. Die Häuser der Bewohner waren mitten drin und rund um die Tempel. Bis 1990, als die Regierung anfang April den Leuten in Bagan befahl, ihre Häuser bis zum 1. Mai abzureissen, um sie in "New Bagan", 7 km weit weg, wieder aufzubauen. Alle dabei anfallenden Kosten sollten die Hausbesitzer selber tragen. Wer kein Geld für diesen Umzug hatte, oder sonstwie sich sträubte, wurde zwangsenteignet und bekam kein neues Land in "New Bagan" zugeteilt. Dass während dem Aufbau des neuen Dorfes von jeder Familie Leute zur Zwangsarbeit für die gemeinschafts-Infrastruktur abkommandiert wurden und jeder für das Stück Strasse vor seinem eigenen Haus selbst bezahlen musste, erfuhren wir von Maung Maung, unserem Kutscher, erst als wir weit ab von jeglichen Gebäuden und Menschen waren.

Abgesehen von den schlechten Vorzeichen, unter welchen Bagan zu einem unvergesslichen und einem nicht zu verpassenden Erlebnis gemacht wurde, ist die ganze "Anlage" atemberaubend. Man kann auf einige der Pagoden bis auf eine Höhe von 20 m klettern, um so einen Blick auf die schier endlose Ebene von Bagan werfen zu können. Mit einem Blick kann man tausende von Gebäuden sehen und gleichzeitig sieht man mehrere tausend Jahre Geschichte, denn die ältesten Pagoden sind über 2500 Jahre alt. Wie schon gesagt: atemberaubend. Was uns den Aufenthalt zudem sehr schön macht, ist die Tatsache dass das Wetter zur Zeit keinen Tourgruppentouristen zugemutet werden kann und in der Folge nur äusserst wenige Touristen zu sehen waren. Es ist beintrocken, staubig und fürchterlich heiss. Manchmal geht ein leichter Wind über die Ebene - es fühlte sich an, als würde man sich einen Fön ins Gesicht halten. Die Temperaturen waren um 44°C im Schatten und gegen 50°C in der Sonne. Wir schwitzten wahrscheinlich wie die Schweine, aber spürten nichts davon, da der Schweiss gleich wieder verdunstete. Fast keine Menschenseele zu sehen, machte für uns einen grossen Unterschied.

Als wir während den zwei Tagen mit unserem Wagen im Schritttempo auf sandigen und holprigen Holzkarrenwegchen unseren Weg durch die steppenartige Landschaft mit all diesen sakralen Gebäuden bahnten, bemächtigte sich unser manchmal ein komisches Gefühl der Zeitlosigkeit, ob nun heute oder vor dreihundert Jahren - es hat hier (minus Telegraphenmasten) schon immer so ausgesehen.

Bagan ist ein Muss, genauso wie Angkor Wat. Es geht nicht darum, jeden Tempel gesehen zu haben, sondern es geht darum die äusserst eigentümliche Stimmung zu atmen, zu fühlen und in sich aufzunehmen. (Sonnenuntergänge auf einer verlassenen Pagode sind einer der besten Wege, das zu erfahren.)

Mein Geburtstag nähert sich und Chantal - ewig mit dem Hotelpersonal konspirierend - hat sich was dafür ausgedacht - mal sehen, was es ist...