22.12.99 - 5.1.00
Tagebuch Seite 51
Laos & Neujahr 2000
Affenkälte, Russisches Feldspital und geruhsame Tage

Wir hatten uns beim Kauf der Tickets überlegt, dass wir bei einer reinen Nachtfahrt auf einen Klimatisierten Wagen verzichten können. Wie richtig diese Annahme war, fanden wir während der Nacht heraus - zwei Faktoren kamen zusammen: Einerseits sind die Fenster der Waggons ähnlich dem vietnamesischen System aufgebaut. Ein Aussenfenster, Gitter und eine perforierte Metallplatte mit kleinen Schlitzen. Unter normalen Umständen sind die Passagiere recht froh darum, dass trotz geschlossenem Fenster immer noch recht viel Luft durch die Ritzen kommt, denn die Temperaturen sind meist mehr als nur angenehm. Andererseits fielen die Temperaturen während unserer Fahrt dermassen, dass wir gegen Morgen eingepackt in sämtliche Kleider, die wir dabeihatten, trotzdem noch gewaltig froren. Nach 12 Stunden Fahrt in der Grenzstadt Nong Khai in Nordthailand angekommen, waren die Temperaturen bei aufgegangener Sonne nur marginal wärmer. Sollten nur 500 km Reise Richtung Norden die Temperaturen von 35°C in Bangkok auf ca. 15°C sinken lassen? Auf jeden Fall waren wir denkbar schlecht vorbereitet und nahmen frierend ein Samlaw Richtung Thai Grenze - einer Brücke, mit Australischer Entwicklungshilfe gebaut. Obwohl die Brücke neben zwei Spuren auch ein Bahntrassé hat, dürfen nur Shuttlebusse von der einen Grenze zur anderen fahren, mehr nicht. Wir stempeln uns aus Thailand raus und nach einer kurzen Fahrt sind wir auf der laotischen Seite, wo uns von einem sehr neuen und grossen Grenzgebäude die Insignia der Kommunistischen Partei entgegenblickt. Unsere Favoriten unter den Asiatischen Ländern sind ausschliesslich Kommunistisch - Vietnam, dicht gefolgt von Laos. Wir freuen uns schon und machen uns so schnell wie möglich auf den Weg zum Grenzgebäude. Wieder ein paar Stempelchen, Formulare und obskure "Stempel-Steuern" später stehen wir auf der anderen Seite der Grenze und werden von einem Freund - Pierre-Marc - den wir in Vietnam kennengelernt hatten, empfangen. Pierre-Marc hat sich in Vientiane, der Hauptstadt niedergelassen und hat uns zu sich eingeladen. Natürlich zwickt uns der "Gwunder", wie denn seine Laotische Freundin aussieht! Nach einer für thailändische Verhältnisse holprigen Busfahrt in Vientiane angekommen, werden wir wiederum von der hier generall herrschenden, friedlichen Stimmung eingenommen. Alles ist ruhig, fast kein Verkehr und die Leute hasten nicht in der Gegend herum, wie in Bangkok. Genau was wir nach kanpp 4 Monaten Bangkok brauchen! Wir verbringen den Nachmittag tratschend und unsere Erlebnisse austauschend. Später gehen wir zur Wohnung und wir können uns kaum halten, als wir sehen, dass er einen kleinen Durchlauferhitzer bei seiner Dusche hat - endlich mal eine warme Dusche nehmen! - Unsere Wohnung in Bangkok hat nämlich nur kaltes Wasser, brrr...

Abends hat Pierre-Marc mit seiner Freundin einen Treffpunkt ausgemacht, wo wir einander treffen können und gleich auch noch einen Happen essen können. Tell - a name we Swiss can relate to, huh? - ist eine sehr nette Frau. Sie spricht verhältnismässig gutes Englisch, ist jedoch noch nie gross mit "Fremden" (Leute aus der westlichen Hemisphäre) zusammengewesen. Das macht Diskussionen und das Ausprobieren von westlichen Speisen nur um so interessanter! Gleich diesen Abend lässt Pierre-Marc auch die Bombe platzen: Er kann sein Visa nicht mehr weiter verlängern und muss vor dem 31.12.99 das Land verlassen haben. Kein Neujahr zusammen, wie eigentlich geplant. Er muss nach Thailand und möchte Tell bei dieser Gelegenheit Bangkok und das Meer, beides hat Tell noch nie gesehen, zeigen. 

Einige Minuten später ist alles arrangiert: Tell und Pierre-Marc gehen vor Neujahr nach Bangkok und bleiben in unserer Wohnung, während wir hier in Vientiane in seiner Wohnung bleiben. Wir treffen uns im neuen Jahr dann wieder in Bangkok. Tell freut sich schon und wird in den nächsten Tagen von ihrer gesamten Verwandtschaft Geld für Einkäufe in Bangkok bekommen, da Laos kaum etwas selbst produziert und ausser gewobene Stoffe so ziemlich alles importeren muss - aus Thailand. Darum: wenn es ein Familienmitglied aus dem Land schafft, muss es im "günstigen" Thailand für alle einkaufen gehen.

Als wir zurück zur Wohnung gehen, ist es dermassen kalt, dass wir bis auf die Knochen die Kälte spüren. Die Leute hier wissen nicht, wie mit der Kälte umgehen und nehmen sie mit der stoischen laotisch/buddhistischen "mein nächstes Leben wird besser werden"-Einstellung. Wir finden ein Thermometer und sehen unsere Vermutungen bestätigt: 10°C!!! Morgen werden wir auf dem Markt mal nach einem Pullover ausschau halten müssen - bei unseren Massen keine einfache Aufgabe! Wir haben nur mit Mühe für die Betten in der Wohnung ein bisschen mehr als die üblichen Leinentücher auftreiben können, aber immer noch nicht genügend - Kälte ist hier sonst nie ein Thema. Es ist trotzdem irrsinnig kalt in der Wohnung und diese Not lässt uns kreativ werden: Wir nehmen das kleine Moulinex-Öfelchen aus der Küche heraus und zerlegen es, damit die Heizelemente freiliegen und statt dem Ofeninnenraum die Umgebungsluft heizt. Gemäss Tell ist es in ihrem ganzen Leben noch nie so kalt wie jetzt gewesen...

Wir erfahren am nächsten Tag, was mit dem Wetter los ist: Eine Kaltfront aus der Mongolei hat es bis nach Laos und Thailand geschafft. In Bangkok ist es seit über 30 Jahren noch nie so kalt gewesen und es sind ausserhalb der Stadt tatsächlich Menschen an der Kälte gestorben! Gemäss den Wetterfröschen soll diese Situation noch einige Tage anhalten und eventuell die Feiern am Neujahr gehörig abkühlen.

Vientiane bietet uns essensweise ein paar Attraktionen, auf welche wir uns natürlich schon länger gefreut haben. Zum einen gibt es ein Vietnamesisches Restaurant und dazugehörenden original-VN-Sandwich-Stand. Wir sind davon überzeugt, dass diese Sandwiches die besten des ganzen Universums sind und genehmigen uns immer wieder im Laufe eines Tages einige dieser knusprigen Kreationen. Andererseits gibt es etliche sehr günstige und authentische französische Restaurants, deren Food wir uns (endlich) leisten können. Die folgenden Tage verbringen wir lesend und herum hängend am Mekong, nachdem wir entweder am Markt waren (wo es nach einigem Suchen doch tatsächlich Pullover zu kaufen gab - schnell, wie doch die Händler jeweils auf ein Bedürfnis reagieren!) oder zusammen zu fuss die Stadt weiter erkundet haben.

Seit unserem letzten Besuch haben sich - wie erwartet - nicht besonders viele Sachen verändert. Die Vietnamesischen Bautruppen sind immer noch dran, die noch nicht geteerten Strassenabschnitte in der Stadt zu teeren - mit mässigem Erfolg. Bei dem Tempo, welche sie bei der Arbeit vorlegen, vergeht nochmal ein Jahrzehnt, bis sie bloss mit der Innenstadt fertig sind! Genauso sieht es mit dem "Lido" am Mekong aus: Dort sitzt man immer noch auf Plastikstühlen im Dreck und alle Restaurants sind hastig zusammengeschusterte Provisorien. Nichts desto trotz hat Vientiane einen einzigartigen Charme, dem wir sicherlich in einigen Jahren nachtrauern werden, denn auch diese Stadt ist - wie alle asiatischen Städte - daran, sich mit Lichtgeschwindigkeit zu verändern und in die Zukunft zu katapultieren.

Mein Ellbogen ist immer noch geschwollen und benötigt Chantal's allabendliche Zuwendung. Am Weihnachtstag entscheiden wir uns, dass wir am nächsten Tag zum Spital gehen werden, da die Schwellung und der Ausstoss von Eiter trotz der dauernden Einnahme von Antibiotika nicht abnimmt, sondern eher schlimmer wird.

Obwohl uns alle Expats, die wir bisher hier getroffen haben, uns abgeraten haben, ins lokale Spital zu gehen, "checken" wir es zumindest mal aus. Die Beschreibungen unserer Bekannten entsprechen den tatsächlichen Zuständen: Das Spital der Landeshauptstadt sieht eher nach Flüchtlingslager in Tschetschenien aus, als nach einem Spital. Der zweistöckige Betonklotz nach russischem Vorbild ist am zerfallen, die Leute haben nicht nur die Birnen aus den Fassungen geklaut, sondern auch noch gleich die Fassungen abmontiert, sodass nackte Kabel aus den Decken ragen. Vor dem Gelände, welches mit rostigem Wellblech und Stacheldraht abgegrenzt ist, gibt es unzählige Stände, welche Essen und Früchte verkaufen. Warum? Ganz einfach: Im Spital wird geheilt (oder zumindest versucht), nicht gekocht!

Klar, dass ich nicht unbedingt hier behandelt werden will. Eine Lösung muss aber her, denn ich kann meinen Arm fast nicht mehr biegen und das Gelenk schmerzt. Gleich nebenan entdecken wir ein Haus, das aussieht, als wäre es ein Wohnhaus. Es beinhaltet nach genauerem Hinsehen die "Internationale" Klinik Vientianes. Alles ist hier etwas sauberer und geordneter und - zwar jetzt unnütz - gibt es sogar AirCon! Ich melde mich an und warte auf den Doktor, der - auf Anfrage hin - sogar Englisch sprechen können soll. Der Arzt, der mich dann untersucht, stellt sich als Kubaner heraus - ein hemdsärmliger Typ ohne weissen Kittel, der mir sagt, dass er mich für's Öffnen(!) meines Ellbogens an seinen russischen Kollegen weitergeben will. Bald darauf sitze ich auf einer kleinen Bank im Innenhof des Gebäudes, wo die dort versammelten, alten, rostigen und verbogenen Krankenbettleichen wiederum eindeutig russischen Ursprungs beunruhigende Gedanken mit dem Stichwort "Sacharov" aufkommen lassen. Kurz darauf öffnet sich die Tür zum Zimmer, dass mit einem Stück aufgeklebtem Karton sich als "Surgery" auszugeben versucht...

Der russische Arzt spricht ein, zwei Worte in schwer akzentuiertem Englisch und die Einrichtung des Zimmers ist streng in mindestens 25 Jahre altem Equpiment gehalten. Der Russe lässt ein Bündel auf das Wägelchen neben dem Schragen legen. Dieses Bündel aus grobem Stoff kommt zwar direkt aus dem Autoklaven, ist aber dermassen mit alten Blutflecken gefärbt, dass man meinen könnte, dass es seit Jahren zum Aufwischen in einer Metzgerei benutzt worden sei. Kurz darauf schneidet er mir mit einem Skalpell die Haut über dem Gelenk auf und lässt alles darin Aufgestaute heraus (Ich musste den Arm über einen Abfallkübel am Boden halten). Wieder verbunden bekomme ich noch eine neue, noch massivere Dosis Anibiotika verschrieben und kann wieder von Dannen ziehen. Mal sehen, wie denn diese Story wieder endet... (Kleiner Nachtrag zum Spital in Bezug auf y2k-Festigkeit: Im gesamten Sptial ist nicht ein Computer in Betrieb und es führt genau eine Telefonleitung ins Gebäude. Alles ist Handarbeit und Bücher werden herumgeschleppt, um die Patientendaten den Ärzten zur Verfügung zu stellen!)

Wie in Vietnam haben die grossen Dosen von Medikamenten zur Folge, dass wir unsere Pläne betreffend Ausflügen in die Nähere Umgebung streichen können. Pierre-Marc und seine Freundin fahren gelegentlich nach Bangkok und wir begnügen uns mit gut essen, in der Stadt herumwandern und am Mekong hängen.

Da auch in Laos der Kalender - anders als der Christliche - bereits 543 Jahre lang im 21. Jahrhundert ist und unser Neujahr nicht ihr Neujahr darstellt, halten sich die Vorbereitungen und Festivitäten zu Silvester eher in Grenzen. Uns ist das auch ganz recht, denn es bedeutet uns auch -inzwischen - nicht besonders viel.

Am 31. kaufen wir uns eine Flasche Chapagner und zwei Gläser und gehen am "Lido" in Vientiane gut französisch essen. Dann setzten wir uns auf den Balkon und warteten auf das Neujahr, welches geruhsam und ohne grossen Lärm in der Stadt anfing.

Das neue Jahr begrüsste uns mit einem wesentlich wärmeren Tag, der den Anfang der allmählichen Normalisierung der Temperaturen darstellen sollte. (Endlich - die Kälte war kaum aushaltbar!)

Wir geniessen die Ruhe und Abgeschiendenheit und freuen uns eigentlich gar nicht auf die Rückkehr ins Chaos und die Hektik von Bangkok, aber leider ruft die Arbeit wieder! Zumindest können wir auf der Abszess-Front vermelden, dass die grossen Dosen von Antibiotika geholfen haben. Es scheint, als wäre das Schlimmste wieder mal überwunden...

Nachdem wir wieder einen weiteren Visa-Kleber in unseren Pass machen haben lassen, der uns weitere 2 Monate in Thailand ermöglicht, sind wir wieder bereit für die Abfahrt nach Thailand. Am Morgen unserer Abfahrt kaufen wir bei "unserem" Stand noch genügend Sandwiches ein und "düsen" wieder zur Thai-Grenze, die ca. 15 km ausserhalb der Stadt liegt.

Ein bisschen schwer ist es uns schon ums Herz, als wir den "Exit"-Stempel für Laos in den Pass bekommen, denn trotz allen schönen Seiten, die das Wohnen & Leben in Bangkok mit sich bringt, würden wir ja schon viel lieber reisen gehen. Dieser kleine Ausflug hat uns das wieder ganz deutlich gezeigt. Wir haben in Bangkok ganz vielversprechende Projekte, die uns vielleicht innert 2 Monaten ermöglichen werden, genügend Geld für einen Monat in Burma oder so zu verdienen. Es wäre schon schön...

Auf der Thai-Seite gibt's dann einen kleinen bangen Moment: Chantal ist schon durch und mein Pass wird ob den vielen Visa/Verlängerungs/Ein- und Ausreisestempeln beanstandet und der Beamte sagt, ich hätte zuviele Visas und könne wegen dem nicht einreisen... Einen Moment später aber fragt er mich, ob ich mit Chantal unterwegs sei und lässt mich dann ganz überraschend nach positiver Beantwortung der Frage mit einem speziellen Eintritts-Stempel und einem breiten Lächeln ins Land. 

Wieder am Bahnhof in Nong Khai, versuchen wir ein Ticket für die Fahrt nach Bangkok zu ergattern. Wie vermutet ist aber seit längerem alles ausgebucht. Kein Problem für uns jedoch: Ab zur Busstation und dort Plätze auf einem Aircon-Bus reservieren, der uns über die Nacht nach Bangkok bringen wird. Wir hatten Glück, dass wir so früh über die Grenze gegangen sind: Die Tickets für die Busse werden bloss am Abfahrtstag verkauft und um die Mittagszeit waren bereits alle Tickets verkauft - nochmal Glück gehabt.

Um 21.30 gings dann mit dem Bus los in die Dunkelheit und ab nach Bangkok...