30.4.-13.5.99
Tagebuch Seite 36
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Cà Ná - Saigon: Antibiotika-High
Wir wollten eigentlich am 29. nach Mui Ne weiterfahren, aber alle Leute in Cà Ná rieten uns stark davon ab, weil am 30.4. ein nationaler Feiertag ist. Ganz (vielleicht nicht ganz, ganz) Vietnam feiert nämlich an diesem Tag die "Befreiung" Saigons. Sehr viele Vietnamesen nehmen diesen und den Tag der Arbeit plus vielleicht noch einen Tag, um mit der Familie irgendwohin zu fahren. Sie warnen uns, dass es an der Küste voraussichtlich kein einziges Zimmer mehr frei sein wird. Uns stört das keineswegs, denn unser Zimmer hier ist sehr günstig und der Sea-Food wirklich schmackhaft. Die Leute hatten recht: Auch unser "verschlafenes" Cà Ná ist über die Feiertage komplett überlaufen und alle Zimmer (bei 150% Preisaufschlag) überbelegt. Am 30. am Abend während des Essens sticht mich ein kleines, gemeines Moskito genau zwischen Sprunggelenk und Fersensehne. An sich ist ein solcher Stich nichts besonderes und kommt immer wieder mal vor. Nur dieser Stich sollte die weiteren Wochen bestimmen. Warum? Nachfolgend die "Geschichte des Stiches": Klar, dass ich am gleichen Abend, weil der Stich biss, es nicht lassen konnte, daran zu kratzen. Das war ein Fehler! Meine Fingernägel waren wahrscheinlich dreckig. Nur an dem Abend konnte ich das Beissen des Stiches so loswerden. Am nächsten Tag - unser kleiner Strand ist immer noch überfüllt - versuchen wir im Meer ein bisschen zu baden, aber es herrscht so ein durcheinander, dass wir eher vor unserer kleinen Hütte noch ein bisschen an der Minsk herumbasteln, um sie - während das Wetter noch ein bisschen hält - für unsere nächste Etappe wieder in Schwung zu bekommen. Der Rest des Nachmittages regnet es in strömen - uns tun die ganzen Leute leid, die ein ganzes Jahr nirgendwo hin können und ihre einzigen paar Tage aneinander, die sie haben sind verregnet. Am abend dann, als wir wieder den kleinen Fussmarsch zu unserem Resto unternehmen, tut mein Fuss weh. Ich kann kein Gewicht mehr daraufsetzen. Zudem ist er schon ein bisschen geschwollen. Kein Problem, denke ich mir, vielleicht habe ich ihn ja nur ein bisschen verrenkt - irgendwie. Nach dem Essen bereitet mir - mein Fuss ist inzwischen schon recht geschwollen - das Gehen schon Mühe. Alles o.k., morgen ist alles wieder in Ordnung und wenn ich liege, stört der Fuss ja nicht. Der nächste Tag bringt schon wieder Regen und der Fuss ist morgens auch nicht mehr so geschwollen - na also, alles halb so schlimm! Weil wir ausser ein bisschen lesen und essen nichts machen können, bleiben wir in unserem Hüttchen und verbringen den Tag dort. Gegen Nachmittag geht es mir aber wieder schlechter und nebst einem wieder geschwollenen Fuss hat auch ein leichtes Fieber eingesetzt. Chantal will mich bereits auf den Touristenbus nach Saigon setzen, damit ich zu einem Doktor kann, aber ich sage nein, weil eigentlich sieht alles noch nicht so schlimm aus und schlucke eine unserer Fiebersenkenden und Entzündungshemmenden Pillen bevor ich schlafen gehe. Am nächsten Tag wollten wir eh weiterfahren. Und die Pillen haben ihre Arbeit gründlich gemacht: Kein Fieber mehr (eher Untertemperatur) und der Fuss ist einigermassen zu gebrauchen. Trotzdem kann ich die Schuhe nicht anziehen, weil mein Fuss zur Zeit eine andere Schuhgrösse benötigt. Wir beladen unsere Minsk und fahren mal los. Die Abzweigung nach Mui Ne ist erst 100 Km entlang der Strasse nach Saigon und wir entscheiden uns an dieser Kreuzung, ob wir ans Meer oder nach Saigon zum Doktor fahren. Die Strasse ist recht gut und wir kommen recht zügig voran. Nach drei Stunden Fahrt kommen wir bei der Kreuzung vorbei und entscheiden uns, nach Saigon zu fahren, weil mein Fuss inzwischen einem Ballon gleicht, der Stich (und die umliegende Haut) eine ungesunde schwarze Farbe angenommen hat und das Fieber wieder da ist. Wir fahren mit erhöhtem Tempo, um nicht noch lange auf der Strasse zu sein. Leider hat ein erhöhtes Tempo auch eine erhöhte Temperatur des Motorrades zu Folge und wir entscheiden uns, der Minsk noch mehr Öl als sonst zu genehmigen. Als wir dann - mit vollem Tank und 7% Öl - weiterfahren, fängt die Minsk an, komisch zu reagieren. Keine Kraft in den unteren Touren und in den höheren Touren droht sie auszugehen. Zuerst dachten wir, dass man uns schlechtes Benzin verkauft hatte und dass dieser Effekt nur solange anhält, bis dass sich das neue und das alte Benzin etwas besser vermischt hat. Nach knapp einem Kilometer in diesem Zustand erinnern wir uns an die Warnung, welche wir mehrfach bekommen hatten, die das Überhitzen anbelangten: Kraftverlust und komisches Verhalten. Als wir dann bei einem kleinen Resto anhielten und den Motor anhielten, bewahrheitete sich unser Verdacht: Das überschüssige Öl, welches bei der Zündkerze und beim Zylinderdeckel angesammelt hatte, rauchte wie wild. Im ersten Moment sah es so aus, als ob das ganze Ding in den nächsten Sekunden in Flammen aufgehen würde. Wir hatten nochmal Glück (kein Feuer - hatten wir schon) und wir warteten bei einigen Colas bis alles wieder genügend ausgekühlt war. Als wir dann die Minsk wieder starten wollten, ging gar nichts mehr. Was ist los? Kurz und gut: Das viele Öl, welches sich im Tank anscheinend nicht genügend mit dem Benzin vermischen könnte, hatte sich im Benzinfilter festgesetzt und verhinderte einen genügenden Fluss von Benzin in den Vergaser. Gleichzeitig aber was der Vergaser auch voller Öl. Die Zündkerze hatte ob dem ganzen nicht komplett verbrannten Öl eine dicke Kruste und die hohen Touren mit wenig Benzin liessen den Motor überhitzen. Mit einem Klumpfuss und einem etwas benebelten Kopf nahm ich dann die ganzen Teile auseinander, befreite sie vom Öl und mischte dann das Öl im Tank etwas besser. Siehe da: Das Biest kam wieder zum Leben. Nur um knapp einen Kilometer später wieder auszugehen. Das war einfach: Benzinhähnchen zu. Wieder den Vergaser mit Benzin füllen und starten - los geht's. Wieder einen Kilometer später geht das Ding schon wieder aus: Diesmal hat sich die Zündkerze gelockert (noch nie passiert) und die Kompression sank unter den nötigen Level - angezogen und schon geht's weiter - dieses mal ohne Unterbruch bis Ho Chi Minh City. Wir kommen in die Stadt im unglaublichsten "Rush-Hour"-Verkehr, den man sich vorstellen kann. Zehntausende Motorräder plus tausende Autos, die keine Verkehrsregeln befolgend in totaler Anarchie den schnellsten Weg zu ihrem Ziel suchen. Als es dann zu regnen beginnt, kommt der Verkehr zu Stillstand. Warum? Die Leute hier sollten sich eigentlich Monsunregengüsse doch gewöhnt sein, oder? Sind sie! Jeder stoppt sein Motorrad mitten in der Strasse und klappt den Sattel hoch, nimmt den dort verstauten Regenschutz hervor und zieht ihn an - egal was denn gerade eine Ampel oder der Verkehr zu der Zeit macht. Wir schaffen es doch noch, ohne weitere Schwierigkeiten bis zu unserem Guesthouse zu kommen, wo wir einchecken, duschen (350 km auf vietnamesischen Strassen machen jeden sehr, sehr dreckig). Dann machen wir uns (im schweren Regen) auf den Weg zum Spital - im Taxi, wohlgemerkt. Dort angekommen, versuchen wir herauszufinden, wo wir denn hinmüssen, da ich mit meinem Fuss auf diesem weitläufigen Gelände keinen Meter mehr als nötig laufen (humpeln) will. Nach kurzem finden wir dann die Notaufnahme, die diesen Namen wirklich verdient. Nachdem wir die uniformierte Wache an der Türe überzeugen konnten, dass ich tatsächlich ein Problem habe und nicht da bin, um Krankenhausmaterial zu stehlen, können wir rein. In einem grossen Raum liegen auf einem Wagen neben dem anderen die ganzen Verkehrsopfer Saigons. Jene, die geglaubt hatten, dass es OK sei, mit 50 oder 60 km/h im dichten Gegenverkehr zu fahren (machen wir übrigens auch, nur langsamer!) und auf jemanden stiessen, der nicht schnell genug ausweichen konnte. Die Versorgung ist sehr grundlegend - ein paar Verbände (auch um schlimme Wunden) und ein paar bunte Pillen (die der Verletzte oder Verwandte selber aus der Apotheke auf der gegenüberliegenden Strassenseite holen muss und dort Cash bezahlen muss) und schon kann er wieder gehen. Als Ausländer bekommt man fast ein schlechtes Gewissen: Man wird in einen kleinen, privaten Raum geführt und einer der Ärzte, der irgendjemanden am behandeln ist, kommt sogleich und lässt den armen Teufel, den er gerade am behandeln war, liegen. Die Untersuchungsmethode ist uns zunächst sehr zuwider und spiegelte nicht die uns gewohnte Professionalität wider. Ich liege auf einer Art Wagen und der Arzt steht in einiger Distanz und betrachtet meinen Fuss, als wäre es moderne Kunst. Hie und da nimmt er seinen Kugelschreiber und stochert in der inzwischen sehr weiträumig schwarz verfärbten Stelle in Umgebung des Stiches herum. Nach einigen Minuten sagt er uns in einer Mischung zwischen Vietnamesisch und Englisch, dass ich am besten für einige Tage im Spital bleiben soll, damit ich Antibiotika per Tropf bekommen kann. (Neiiin, danke! Dieses Spital und die Art, mit der hier die Verletzten behandelt werden, lassen das Grauen aufkommen, was denn in den normalen Zimmern los sein wird.) Der Arzt verschwindet und lässt uns für eine gute Viertelstunde alleine. Dann kommt er wieder und teilt uns mit, dass er sich entschieden hat, dass ich auch einen sehr starken Pillen-Cocktail zu mir nehmen könne und in zwei Tagen wiederkommen müsse, sollte die Schwellung nicht abnehmen. In dem Fall aber käme ich nicht darum herum, einige Tage im Spital zu bleiben. OK! Alles klar für uns, obwohl es schwer vorzustellen ist, dass solch eine Schwellung innert zwei Tagen abnimmt. Chantal bekommt einen Zettel, mit dem sie zur Apotheke auf der anderen Strassenseite muss, um dort die Medikamente zu kaufen. wir zahlen 50'000 Dong für die Konsultation und 150'000 für die Medikamente. Das Taxi, welches vom Spital gerufen wurde, fährt bis vor die Tür der Notaufnahme (und blockiert dabei die Einfahrt für jegliche andere Fahrzeuge) und bringt uns dann wieder zurück zu unserem Guesthouse. Dort angekommen lesen wir die Beipackzettel und es wir auf einmal klar, was der Arzt mit "Starker Dosis" gemeint hat: Ich nehme die doppelte Dosis von Scherzmitteln, die vorgeschlagen ist und bei den Antibiotika ist es sogar die dreifache empfohlene Dosis. Insgesamt stellt die drei mal am Tage zu mir zu nehmende Anzahl Pillen eine bunte Mischung dar. Die nächsten zwei Tage verbringe ich mit aufopfernder Pflege durch Chantal im Zimmer - viel mehr gab's auch nicht zu tun, weil ich weder Treppenlaufen konnte, noch das Hirn auf etwas anderes konzentrieren konnte, weil jeweils nach der Einnahme der Pillen mein Gehirn innert Minuten zu Jelly wurde und die gesamte Welt mit einem gewissen angenehmen Nebel durchwabert wurde, der ziemlich genau solange hielt, bis die nächsten Pillen fällig wurden. Die ersten zwei Tage bewegte sich so gut wie nichts auf der Schwellungs-Front. Wir hatten schon angst, dass der Spital-Aufenthalt unvermeidlich werden würde. Doch glücklicherweise entschied sich die Schwellung am Tage, als wir im Spital erwartet wurden, endlich ein bisschen nachzulassen. Nach nochmal einer Woche war dann die Schwellung schon wieder fast weg, die Wunde, die einen Zentimeter im Durchmesser war, gab langsam den Eiter ab, der den Druck von innen ausmachte und ein bisschen rumhumpeln wurde auch wieder möglich. Am Ende der zweiten Woche hatte ich mich schon wieder soweit erholt, dass wir wieder Pläne schmiedeten, wie denn unsere Ausfahrt ins Mekong-Delta aussehen sollte. Wir besorgen uns noch die nächsten Visa: Kambodscha und ein zweimonats-Visa für Thailand - boom! 90 USD auf einen Schlag weg! Jedoch überrascht uns die Tatsache, dass wir die ganze Sache innert 3 Tagen über die Bühne hatten - so schnell sollte es überall gehen! Am vorletzten Abend vor unserer Abfahrt machten wir uns übrigens noch auf den Weg zu einer unserer neuesten Entdeckungen: Kentucky Fried Chicken! Acht Monate ohne Fast Food und ohne dass nur irgend jemand davon weiss, gibt es einen KFC recht weit ausserhalb der Stadt! (Eigentlich waren wir der Meinung, dass KFC in Vietnam gar nie Fuss fassen würde, weil gemäss den Vietnamesen, die wir früher ob diesem Thema befragt hatten, das Logo von KFC, Colonel Sanders, Ho Chi Minh zu ähnlich sehe und man den "Vater der Nation" nicht mit einer solchen "Kapitalistischen" Einrichtung in Verbindung bringen wolle. Was sich dann auch bei unserem Besuch teilweise als richtig herausstellen sollte: Alle Logos sind alt. Die neuen, "streamlined"-Logos sind nirgends zu finden und das Bild von Sanders Kopf ist ziemlich gestaucht und eher rund - jegliche Ähnlichkeit mit HCM ist gebannt und wahrscheinlich somit auch der Grund für die Verweigerung der Betriebsbewilligung...) Wir nehmen das Taxi dorthin (20 Minuten vom Zentrum) und geniessen den Cole-Slaw und die "Original-Recipie"-Keulen. Der KFC steht an einem Ort, der für uns nach all dieser Zeit in Vietnam wie Mars vorkommt: Einer Shopping-Mall 100% nach amerikanischem Vorbild. Mit Einkaufswägelchen, die man auf dem (riesigen) Parkplatz in kleine Hüttchen stellen kann und kleine Mall-Boutiquen und einem Kinderhütedienst - unglaublich! Die reiche Oberschicht von Saigon kauft hier ein und der Name dieses Ortes ist genauso "un"vietnamesisch: Saigon Super Bowl - klar, dass man hier "auch" Bowlen kann! Wir machen uns bereit für die Fahrt in den Mekong-Delta - kaufen noch einige Wundabdeckungen und Klebeband und packen einen leichten Rucksack - den anderen lassen wir in dem Guesthouse zurück mit all den Sachen, die wir noch zurückschicken wollen. Morgen ist es soweit: My Tho ist unsere nächste Destination und unsere Tour wird zirka eine Woche lang, weil wir uns zwei Wochen für den Verkauf unseres Motorrades Zeit lassen wollen.