9.11. - 2.12.98
Tagebuch Seite 18
Die Berge Nordvietnams
Bevor ich überhaupt mit der Beschreibung unserer Erlebnisse beginne, muss ich noch folgendes vorausschicken:

Selber machen!
Selber sehen!
Selber erleben!

Es ist kaum in Worte fassbar, was wir in den Bergen - jenseits von jedem Touristenpfad und abseits jeder mit einem 4WD-Jeep befahrbaren Spur - bei Völkern, die das 20. Jahrhunder noch gar nicht begonnen haben, erleben durften. Diese Unverfälschtheit, diese innige Freude/Angst gegenüber uns "Weissen Geistern", das Festhalten an ihrer - farbigen und manchmal "kurligen" - Kultur und Sprache und unglaubliche, für uns kaum vorstellbare Freundlichkeit der Leute kann kaum in Worte gefasst, noch auf Film gebannt werden - darum nochmal: Selber machen/erleben/sehen!

Tag 1 - Hanoi - Mai Chao

Nachdem wir von unseren Freunden noch einige Informationen und Geschichten Ihrer Bergtouren auf den Weg mitbekommen haben fahren wir gegen Mittag, unser Motorrad bepackt mit uns zweien und einem unserer Rucksäcke los und verlassen unser inzwischen geliebtes Hanoi. Wir haben immer noch einige Bedenken, was die technische Tauglichkeit des Motorrades anbelangt. Nicht weil irgendwie unsere Sicherheit auf dem Spiel stehen würde, sondern weil das Ding so einfach und simpel angelegt ist, dass es einfach hie und da ein Problem haben muss! Aufgrund dieser Erkenntnis haben wir einfach das Gefühl, dass wir das Ding auf der Strasse nicht wieder zum Laufen bekommen und dann die ganze Reise zu einem eher weniger guten Erlebnis werden könnte. (Alle meine Sorgen sollten während der Reise aber völlig unbegründet sein: Das Motorrad hatte durchschnittlich alle 400 Km eine Panne irgendeiner Art, die dann aber (auch wiederum durchschnittlich) innerhalb von einer guten Viertelstunde (Zigarettenpause inkl.) behoben werden konnte - und das unglaubliche daran: alle Pannen ausser zweien konnten direkt von Andrew selber behoben werden!).

Unsere heutige Etappe sollte uns nach Mai Chao führen. Während den ersten 100 Km fahren wir auf recht befahrenen, aber trotzdem staubigen und holprigen Teerstrassen durch das Delta des roten Flusses (flach). Danach wird nicht nur der Verkehr weniger - was sehr angenehm ist - sondern die Stimmung, die Vegetation und die Landschaft wird auch interessanter: Es sieht grob so aus, wie ausserhalb von Yangshuo. Wieder haben wir diese interessanten Karstgebirgsformationen und im warmen Licht der Sonne glänzen die trockengelegten, abgeernteten Reisfelder uns in einem unwahrscheinlich leuchtenden goldgelb entgegen. Einzig wirklich grüne Vegetation zur Zeit: Bambusbäume. Nach und nach wird die Strasse eng (1 Spur) und der Teer wird brüchiger und noch holperiger. Dafür geht's langsam in die Höhe. Wir erklimmen unsere erste richtige Steigung und werden mit schönen Licht/Schatten-Spielen belohnt. Ein kleiner Wermutstropfen: Wir wollten eigentlich noch ein Paar Fotos entlang der Strecke schiessen, unsere Kamera jedoch hatte eine andere Idee und entschloss sich gerade dann uns anzuzeigen, dass jene Spezialgrössen - Lithium - und -kaum - erhältlich - Batterie, die ihre Geister am Leben erhält, nun leer sei. Unsere Stimmung war an einem Tiefpunkt angelangt - diese Batterie gibt's nur und ausschliesslich - wir sind (technisch gesehen) hier im Niemandsland - in Hanoi.

Wir entschliessen uns dennoch bis Mai Chao weiterzufahren und halt notfalls morgen wieder zurück nach Hanoi zu fahren, um die verd... Batterie wieder zu ersetzen. Wir sollten aber zuerst mal die Anzweigung nach Mai Chao verpassen und gute 15 km weiter den Berg hinaufkämpfen, bevor wir nachfragen und herausfinden, dass diese kleine, unscheinbare Strasse doch tatsächlich die rote grosse Strasse auf unserer Karte war, die nach Mai Chao führt. Recht spät schon - es ist schon am eindunkeln - kommen wir im sehr malerisch in einer Art Tal gelegenen Mai Chao an - und das Unglaubliche wird wahr: in einem Dorf mit nicht mehr als 30 Häusern gibt es in einem kleinen "Hüttchen" einen Fotoshop. Dieser hat in dem kleinen Schaukasten, der vor dem kleinen Loch, welches als Laden dient folgendes: 3 Filmpatronen, die auch schon länger in der Sonne gewesen sind, etliche verbleichte Fotos, welche die verfügbaren Formate anzeigen in welchen man die Fotos entwickeln kann, eine Kamera (eines vergangenen Jahrhunderts (fast)), die zum Verkauf angeboten wird - und - ca. 50 Stk. (!!!) von GENAU unserer Spezial-Lithium-Batterie.

Den Tag gerettet (der Preis war nämlich auch sehr, sehr gut) machen wir uns auf den Weg zum Guesthouse, welches am Rand des Dorfes, gleich an den Reisfeldern liegt. Unser Zimmer hat einen Balkon, der uns eine wunderschöne Sicht auf die Reisfelder und die umliegenden Berge gibt - sieht sehr friedlich und unglaublich idyllisch bei Sonnenuntergang aus. Wir kippen nach einem kleinen Essen im Dorf ins Bett und schlafen einen guten, tiefen Schlaf.

Tag 2 - Mai Chao - Sön La

Wir stehen früh (für unsere bisherigen Verhältnisse) auf und frühstücken. Um ca. 6.30 fahren wir los und müssen ironischerwise genau den Berg wieder hoch, den wir gestern schon fälschlicherweise rauf sind. Es ist recht kühl und feucht um diese Zeit und wir fahren bis ca. 10 Uhr im Nebel rum. Dann aber, als wir auf einem Plateau ankommen, löst sich der Nebel auf, und ein weiterer wunderschöner Tag offenbart sich. Die Temperaturen schnellen auch gleich um 10° hoch und so halten wir - mitten im Nichts - am Rande der Strasse bei einem kleinen Hüttchen, welches Cola und Bier verkauft und ziehen uns ein Getränk und die Strahlen der inzwischen noch stärker gewordenen Sonne rein.

Wir sind aber auch gleich Mittelpunkt allen Interesses: als wir beim Hüttchen hielten, sahen wir ausser der Frau vor dem Hüttchen niemanden und auf einmal sind da über 10 Leute - wo sind denn diese auf einmal hergekommen? Wir werden viel gefragt: Woher wir sind, was wir machen, wie alt wir sind, ob wir schon verheiratet sind, ob wir schon Kinder haben etc, etc. etc. Wir entscheiden uns, verheiratet zu sein (schwierig in Vietnamesisch zu erklären, dass wir die Goldringe daheim gelassen haben) - aber Studenten sind, die dieses Jahr den Abschluss gehabt haben und nun die Zeit bis zur Arbeit mit Reisen überbrücken und da Studenten eh' wenig Geld haben, reicht es sicherlich auch nicht, um jetzt schon Kinder zu haben...

Nach einer guten Stunde fahren wir wieder weiter - diesmal fährt Chantal und gibt mir die Möglichkeit, mal die Umgebung etwas besser anzusehen - wir sehen auf einmal Frauen, die traditionell angezogen sind und manchmal sogar Kopfschmuck tragen, der aussieht, wie als wäre er aus Pferdehaar. Zudem gibt's aus der Ferne an den Hängen die ersten Stelzenhäuser zu sehen.

Gegen mittag halten wir bei einem sehr kleinen Food-Laden, der ziemlich voll zu sein scheint. Wie überall in Asien, ist das Essen an Orten, in dem schon viele andere Leute drinnen sind, am besten, denn es kann nicht herumliegen und schlecht werden, da es immer gleich frisch zubereitet wird. Wir ziehen uns dort eine Pho' (Vietnams No.1 Nudel-Fleisch-Suppe und zudem eine unserer Favourites) rein. Klar, dass wir für die Besitzer des Ladens eine gute Sache waren und dass wir wiederum das Zentrum allem Interesses aller Anwesenden waren. Nach dem Essen ist es in Vietnam üblich, noch Tee zu trinken und ein paar Zigaretten zu rauchen (und wir Foreigners stehen dann auch meist in einer Q&A-Session zur Verfügung). Dieses Mal bleibt es aber nicht beim Tee: Reisschnaps wird in kleine Teegläser eingefüllt und dann wird angestossen (Chantal kriegt keinen - ist Männersache; oder?). Ein Spruch, den man dann meist zu hören bekommt, lautet wie folgt "Tscham fan tscham", was sich mit "100%" übersetzen lässt (Wie sich mit der Zeit herausstellt ist das englische "Bottoms up" nach "Hello" und "Bye Bye" im Repertoire der meisten vietnamesischen Männer - ist angesichts der Sitte auch nicht schwer zu verstehen...) und bedeutet, dass das Glas "ex" zu nehmen ist.

Nach einigen weiteren solchen Gläsern und einigen Versuchen, in Vietnamesisch unsere Reise durch die Berge zu erklären, laden mich die Männer ein, noch die Pfeife zu versuchen. Nicht, dass dies eine besondere Spzialität dieser Gegend wäre, oder, dass es sonst nicht möglich wäre, aber ich hatte bisher einfach nicht das Bedürfnis danach, das Ding auszuprobieren. Nun aber, mit einer freundlichen Einladung irgendwie das Rauchen mit ihnen zu "teilen" und zu sehen, ob ein Westler überhaupt mit dem Ding klarkommt ist es schon anders. Gut, das Ding besteht aus einem Bambusrohr, etwa 50 cm lang, am anderen Ende steht ein kleines Stück Holz hervor, in welches der Tabak gesteckt wird und im unteren Teil ist die Pfeife zu und ist mit Wasser gefüllt, damit der Rauch hindurchgeht. Anfühlen tut sich das Ganze wie eine Marlboro auf Lunge nach einer Woche Abstinenz vom Rauchen (Raucher kennnen alle dieses Gefühl). Nicht schlecht, aber ich glaube, dass ich immer noch der Lightzigarettentyp bleiben werde.

Hier kommt dann Chantal ins Spiel und beklagt sich, dass für sie kein Schnaps ausgeschenkt wurde - siehe da: so schnell sind in diesem Resti sicher noch keine Gläser auf den Tisch gelangt! Und schon geht's in einer weiteren Ausschankrunde weiter - eine westliche Frau trinkt, raucht und mag das Ganze dazu noch - kein besserer Weg, um vietnamesische Männer interessiert zu behalten. Der einzige Grund, warum das Ganze nicht zu einer schweren "Trinkete" wurde, war der Grund, dass die meisten der Anwesenden Lastwagenfahrer waren und gelegentlich wieder auf die Strasse mussten - wir waren, obwohl das Erlebnis und die Leute toll waren, froh darum, wieder auf die Strasse zu kommen. Nachdem uns das Besitzerpaar noch persönlich verabschiedet hatte und auf der Strasse uns noch nachwinkten, bis wir sie nicht mehr sehen konnten, fuhren wir durch bis nach Sön La und versuchten im Hotel unterzukommen, welches in unseren Guide beschrieben war. Nach einigem Suchen finden wir ein anderes, sehr angenehmes kleines Hotel, welches komplett in einem satten Grün gehalten war und uns mit einem günstigen Preis lockte. Nach einem teuren, aber guten Essen kippen wir am Abend, nach Konsultation unserer Karten, ins Bett.

Tag 3 - Sön La - Tuan Giao

Nachdem wir uns wieder um 6.30 auf das Motorrad geschwungen haben, bekommen wir gleich nach der Abfahrt aus Sön La einen Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Tagen dauernd bevorstehen wird: sich windende, kleine, steile Strassen. Wir kämpfen uns auf dem Weg hinauf durch einen dicken, feuchten und kühl/kalten Nebel, der sich auf allem festsetzt und alles sehr feucht werden lässt. Irgendwann schaffen wir dann die Nebelgrenze und kommen in strahlenden Sonnenschein. Hier ist es, wie gestern schon mindestens 15° wärmer und wir halten an, um die wunderschöne Aussicht mit Nebelmeer und baumwollartigen Wolken zu bewundern. Alles ist etwas surreal - es sieht zwar irgendwie sehr alpin aus - bergig mit eher Sträuchern als Bäumen und einer kargen Vegetation, aber zur gleichen Zeit gibt's Büsche von wilden Bananenbäumen, riesisge Schmetterlinge, die uns um den Kopf schwirren und Grillen, die vor sich hinzirpen, als wäre der schwerste Sommer unterwegs.

Wir fahren weiter - hinauf. Und hinauf; und hinauf! Jedesmal wenn wir das Gefühl haben, dass es sicherlich nicht mehr weiter hinaufgehen kann, überqueren wir die Spitze, um eine weitere Spitze zu sehen, auf die unsere Strasse - nach zig Windungen - auch hinwill. Durchschnittlich bewegt sich die Steigung so zwischen 8 - 12% und aus diesem Grunde müssen wir auch hie und da halten, um die Minsk auskühlen zu lassen. Die Minsk ist ein Motorrad, welches in Weissrussland für ganz andere Temperaturzonen gebaut und konzipiert wurde und hat deshalb hier manchmal ein kleines Temperaturproblem. Dann will sie uns zwei grossen, schweren und bepackten Leute dann manchmal nicht mal mehr im 1. Gang so richtig den Berg hochtragen. Nach einigen Minuten warten war dann alles wieder OK und die Kraft war auch wieder da. (Wie dann etwas später rauskommen sollte, war schon dort ein anderes Problem als die Hitze an unserem Kraftverlust schuld - dazu aber später)

Irgendwann haben wir dann auch diese Mutter aller Pässe geschafft. Die Aussicht ist grandios und die Wärme ist für einen Novembertag mit über 30° schon sehr heiss. Auf der Karte finden wir auch die Bestätigung dafür: 35 km lang 8-12%. Danach gehts aber nicht minder interessant weiter: Den grössten Teil der Steigung müssen wir wieder runter - in 9 Kilometern mit 12% und mehr geht's ins nächste Tal runter. Hier sehen wir die ersten Berg-Stämme und Dörfer mit in allen Farben gekleideten Kindern, die entweder anfangen zu schreien, wenn sie uns sehen oder so überrascht sind, dass sie uns mit offenem Mund einfach anstarren. Zudem fahren hier z.B. Tieflader auf Strassen, die sicherlich nicht für solche Fahrzeuge gemacht sind. Weil es so steil bergab geht, müssen sie sehr, sehr langsam fahren und sind auch für unseren schon sehr tiefen Geschwindigkeiten noch langsam.

Einmal bei einem Überholmanöver hört der Lastwagenfahrer unsere Hupe, die leider sehr schwach auf der Brust ist, nicht, und beginnt, noch auf die letzten 30 cm des Drecks neben der Strasse, den wir für's überholen brauchen, auszuweichen: Jetzt hiess es einfach entweder Gas geben und hoffen, dass es reicht (was es dann ganz, ganz knapp tat) oder den Abhang die nächsten 300 Meter runterzustürzen... Bei dieser ganzen Abfahrt sind dann irgendwann die Bremsen so heiss geworden und runtergebraucht worden, dass wir einige Male anhalten müssen, die Bremsen abkühlen lassen (Keine Scheibenbremsen, weder vorne noch hinten) und sie wieder nachstellen, damit sie wieder ein bisschen was nützen. Wieder in einer Art Tal angekommen, fahren wir ins recht kleine Provinznest Tuan Giao (sieht auf der Karte aus, als wäre es ein grosser, wichtiger Ort) mit nicht mehr als 50 Häusern und essen was.

Nachher suchen wir uns ein kleines "Gasthaus" aus und machen es uns dort auf der Veranda vor unserem Zimmer für den Nachmittag voller Entspannung und warmen Sonnenstrahlen bequem. Der Nachmittag mit etwas Lesen und Ausspannen und einigen Getränken verbracht, essen wir abends im Restaurant und werden dort wieder in eine Frage / Antwortsession verwickelt. Als wir wieder, viel später, im Zimmer ankamen, hatten wir soviel Tee getrunken, dass uns das Einschlafen vor lauter Teein etwas schwer fiel.