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Tagebuch Seite 10
Xing Ping - Ruhe und Frieden auf dem Lande
Nach einer einstündigen Fahrt mit dem kleinen Büsschen über Strassen, die diese Bezeichnung fast nicht verdienen, kommen wir in Xing Ping an. Es ist tatsächlich kein Touristenort - wir mit unseren Rucksäcken werden am Busbahnhof von den Leuten wie Ausserirdische angesehen. Wir haben keinerlei Orientierung und entschliessen uns, entlang einer der vier verfügbaren Strassen zu gehen. Vielleicht werden wir ja fündig - zur Zeit sehen wir keinen Fluss, an dem ein "herziges, kleines und unscheinbares" Hotel stehen könnte. Die Entscheidung hat auch eine andere Dimension: Es ist noch heisser und schwüler als alle Tage vorher und einige Schritte mit dem Rucksack verursachen sofortige Schweissausbrüche der schwereren Art. Als wir dann nach ca. 2 km noch nirgends angekommen sind, das der Beschreibung des Schweizers entspricht, fragen wir den Strassenhändler, bei dem wir das dringend benötigte Nass in Form unseres Lieblingsgetränkes "Jian Li Bao" kaufen, mit unserem wenigen Chinesisch, das wir beherrschen, nach dem Weg zum Hotel. Wir haben Glück: er versteht Mandarin und zeichnet uns auf einem Stück Papier den Weg zum Hotel auf und zeigt genau in die Richtung, aus der wir schon km-weise gekommen sind.

Wieder zurück beim Busbahnhof, sieht dann alles ziemlich anders aus, als auf dem Plan und wir entschliessen uns eine andere der noch drei verbleibenden Strassen zu nehmen. Wir wandern wiederum einige Zeit, bis wir dann tatsächlich an eine Flussbeuge kommen. Auch die Gegend sieht ungefähr so aus, wie sie uns beschrieben wurde - einziges Problem: Das Hotel, das hier steht, ist eine Baustelle und es wird noch für längere Zeit so bleiben, denn es sieht so aus, als wäre den Bauherren das Geld für's Bauen ausgegangen. Wir fragen ein paar Leute nach dem Hotel und bekommen von jeder Person eine andere Richtung gezeigt (wie in einem schlechten Film), bis eine junge Frau, die sich als Besitzerin des Cafés um die Ecke (?) vorstellt uns holen kommt und in das unscheinbare Gebäude neben der Baustelle in den Innenhof geleitet.

Das ist nun das Hotel - hätten wir nie gefunden, sieht nicht danach aus und am Tor sind keine "Hotel"-Schriftzeichen zu finden. Für nur 10 Fr./Tag haben wir ein komplettes auditorium-grosses Zimmer mit eigenem Bad und der von dem Schweizer beschriebenen Ruhe und unglaublichem Ausblick. Wir sind zur Zeit die einzigen Gäste hier... Nach dem Abladen unserer Rucksäcke gehen wir um die Ecke und treffen auf ein Café, das wie alle anderen in Yangshuo aussieht. Warum ein Café, wenn eh' niemand da ist? Die Besitzerin klärt uns auf: Einmal am Tag kommt ein Touristenboot aus Yangshuo hier an und sie lebt von den Foreigners, welche bevor sie auf den Drahtesel sitzen, um wieder zurück nach Yangshuo zu gelangen, hier halten und irgendwas zu mittag essen oder trinken. Aha. Aber sonst, während des Tages gäbe es hier ausser nun uns niemanden. Wir sind tatsächlich hungrig und sehen uns die Karte an: O-oh! Alle Preise sind mindestens so teuer wie in Yangshuo - verständlich, aber für uns viel zu teuer. Nach kurzer Verhandlung mit der Besitzerin kommen wir überein, dass wir, weil wir hier bleiben, einen Spezialpreis bekommen. Ahhh, jetzt sieht alles schon ganz anders aus: Weil wir von jedem Preis 2-5 Yuan abziehen können, gestaltet sich die Karte schon recht günstig. Wir fragen die Besitzerin nach den Verleih von Fahrrädern - keine Möglichkeit in Xing Ping, sagt sie uns. Aber sie verucht, bis morgen von privat zwei Räder zu organisieren, wir sollen Morgen nochmal kommen.

Nach dem Essen gehen wir ein wenig im Dorf spazieren, um ein bisschen die Orientierung zu gewinnen. Es gibt hier ausser einigen Bauern, Fischern und Händlern eigentlich überhaupt nichts - ein sehr authentisch wirkendes kleines chinesisches Bauerndorf. Wir gehen irgendwann wieder zurück ins Hotel und legen uns für einige Zeit hin, bis am Abend uns der Hunger wieder aus dem Zimmer treibt. Das Café ist seit dem Nachmittag einer grossen Wandlung unterlegen: Viele Chinesen bevölkern das Café, welches, wie sich herausstellt, eines der wenigen Restis im Dorf ist. Wir werden sehr herzlich empfangen und nach dem üblichen Tee bekommen wir auch eine lokale Spezialiät offeriert, die aussieht, wie ein kleines Päckchen, welches mit einem länglichen grossen Blatt eingewickelt ist. Das Päckchen ist heiss und wenn mann es auspackt (das Blatt ist ca. 70 cm lang und 10 cm breit) findet man darin ein teigiges Etwas (Reisteig), welches, wenn man reinbeisst mit einer leicht scharfen Sauce mit gehackten Erdnüssen gefüllt ist. Sehr schmackhaft, aber auch sehr mastig. wir überlegen uns, einige unserer bestellten Sachen wieder rückgängig zu machen... Die Leute versuchen, mit uns zu kommunizien, jedoch ist unser Chinesisch noch bei weitem nicht gut genug für eine Konversation - Spass macht es trotzdem!

Nach dem Abendessen gehen wir noch ans Pier und sehen die Sterne und Hügel im Wasser spiegeln - ein wunderschöner Anblick. Spät erst kommen wir ins Bett und schlafen bis spät in den Morgen hinein. Beim Frühstück fragen wir nochmal nach den Fahrrädern und wie versprochen, stehen zwei Räder bereit - wir fahren entlang dem Li-Fluss durch die unglaubliche Landschaft entlang zahllosen kleinen Reisfeldern und durch Dörfer, die sicher seit langem keine Langnasen mehr gesehen haben und bleiben in kleinen Foodstalls, in denen die Männer am "Majang" spielen sind und die Frauen die Fische und Hühner ausnehmen und für das nächste Essen vorbereiten. Nach ca. 6 Stunden kommen wir wieder ins Dorf zurück und essen etwas Kleines. Die Besitzerin fragt uns, ob wir Lust hätten, in eine nahegelegene Höhle zu gehen, die normalerweise geschlossen ist und nur auf Anfrage geöffnet wird. Es komme uns auch nicht sehr teuer, da zwei andere Westler, die hier im Dorf seien (Was?!?) Interesse an der Höhle gezeigt hätten. (Wer um aller Himmels Willen beibt denn noch hier?) Wir treffen die anderen zwei Leute etwas später, als sie auch ins Café essen kommen und die Überraschung ist gross: Wir kennen sie bereits schon! Es ist ein älteres Paar aus Neuseeland. Der Mann - zufälligerweise - ist ein ausgewanderter Dübendorfer (ist die Welt nicht klein?). Wir hatten Sie in Dali kennengelernt und wie sich herausstellt, hatten sie den gleichen Schweizer, der uns den Ort empfohlen hatte, an einem komplett anderen Ort auch kennengelernt (Ist die Welt nicht wirklich so klein?). Wir verbingen den Abend in aller Ruhe mit Gesprächen (Sie haben sich das mit der Höhle doch anders überlegt und wollen nun doch nicht gehen) und einem guten Essen, bevor wir spät am Abend wieder in die Federn (Strohmatte auf einem Brett und einem Moskitonetz) kommen.

Am nächsten Tag verbringen wir den ganzen Morgen und einen Teil des Nachmittages damit, Postkarten und deren elektronisches Pendant zu schreiben und Karten zu spielen. Wir warten, bis die Sonne etwas weniger stark scheint, damit wir die 326m (1262 Stufen) auf den Hügel-Berg neben dem Dorf besteigen können. Gegen 4 Uhr verschwindet dann die Sonne hinter einigen bedenklichen Wolken und wir wagen den Aufstieg. Nach einigen hundert Tritten sind wir bereits schweissgebadet, weil wir nicht daran gedacht hatten, dass die Luftfeuchtigkeit so hoch ist. Zudem machen uns die chinesischen "Low-Tar"-Zigaretten (22mg/1.9mg) das Atmen recht schwer. Wir werden aber oben mit einer der schönsten Aussichten überhaupt belohnt, die man sich nur vorstellen kann. (Ich hasse es, über einen Ort oder Landschaft so unglaublich zu schwärmen - diese hier muss (!!) man aber einfach gesehen haben - so anders, friedvoll und so schön. Es ist auch nicht unverständlich, warum ein grosser Teil der chinesischen Kunst und Kultur mit vielen Bildern und Sagen aus dieser Gegend aufwartet - sie animiert sehr stark dazu!).

Als wir wieder unten sind, entspannen wir uns noch einmal im Café bis am Abend wieder die ganzen lokalen Chinesen da sind - nur heute Abend mit einem entscheidendem Unterschied - unter ihnen ist einer, der ein wenig Englisch kann und so spielt er Mittler für alle Fragen und Diskussionen - macht vielen Spass! Noch viel später kommen wir wieder ins Bett und schlafen nicht gar zu lange (9.00 - unmenschliche Zeit für uns), um uns nach dem Frühstück von der Besitzerin zu verabschieden und ihr für alles zu danken. Am Busbahnhof dann steht der gleiche Bus, mit dem gleichen Fahrer, den wir schon hierher genommen hatten und er versucht wieder uns 20 Yuan abzunehemen. (Manchmal habe ich das Gefühl in einer dauernden Wiederholung der Szene aus "Life of Brian" zu sein: "Will nicht feilschen???") Unser "Plan B" funktioniert auch dieses Mal bestens und ca. 20 Minuten später sitzen wir für den chinesischen Preis wieder im Bus nach Yangshuo.

Bye bye, Xing Ping, du warst Deine Zeit absolut wert - wir kommen wieder einmal!