8. - 10.8.98
Tagebuch Seite 6
Emeishan -> Lijang
Warum einer solch kurze Fahrt einen ganzen Abschnitt widmen? Ganz einfach: Sie ist wieder ein Schmuckstück chinesischer Transport-Infrastruktur, diesmal gekoppelt mit Mutter Natur's Gewalten. Wir haben für 400 km Luftlinie 34 Stunden gebraucht! Read & enjoy!

Um 21.30 erreichen wir den Bahnhof Emei, der aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen kein Licht bieten kann. In der Dunkelheit harren wir dann der Dinge die da kommen sollten. Unser Zug sollte um 21.40 fahren, aber wir kennen die Chinesen, wenn sie nicht am Gate anstehen, dann kann es mit dem Zug nicht so ernst sein (in chinesischen Bahnhöfen wird man ohne Ticket erst gar nicht auf das Perron gelassen - und die mit Ticket, erst wenn der Zug am Perron steht). Erst eine gute Stunde später fangen die ersten Gerangel an. Wir nutzen unsere Grösse und Erscheinung natürlich schamlos aus, um so schnell wie möglich an das Gate zu kommen. Einer der Ersten zu sein ist äusserst wichtig: Die Züge sind masslos lang und je nach dem muss man sich dann einfach auf den Zug werfen, weil dieser schon nach 3 Minuten weiterfahren will. Man muss sich dann durch das Chaos sich installierender Chinesen oder überfüllter Hard-Seat Waggons kämpfen (muss man einfach mal gesehen haben!). Unglaublichwerweise sitzt niemand auf unseren Betten und erzählt allen, dass unsere "Schwarzmarkttickets" (mit original Barcode auf fluoreszierendem Papier, welches nicht replizierbar ist) eh' nicht gültig sind und das sein Stück Karton (welches dann ein original "Schwarzmarkt"-Ticket ist) das einzig gültige sei. Ohne weitere Probleme installieren wir uns und der Zug fährt in die Nacht (und starken Regen) hinein.

Am nächsten Morgen wache ich auf - Stille. Der Zug bewegt sich keinen Millimeter. Nach einer halben Stunde bewegt sich dann der Zug doch noch, aber er schwankt gefährlich, und fahrt Sub-Schrittempo. Wir passieren nun auf den wackeligen und in aller Hast verlegten Notgeleisen die Erdrutschstelle, welche noch etwas weiters zu bieten hat: einige hundert Meter weiter hat ein Fluss das ganze Trassé weggewaschen. Die Geleise hängen auf 50 Metern einfach in der Luft und die Notgeleise sind neu in den Felsen gehauen worden - sieht alles andere als sicher aus... Aber: mit 3 Stunden Verspätung erreichen wir dann um 11 Uhr doch noch JingJang.

Sobald wir das Bahnhofsgebäude verlassen haben, werden wir schon von Busmenschen zum nächsten Bus buxsiert, und in aller Eile, als würde der Bus in den nächsten 2 Minuten abfahren, wird unser Gepäck verstaut und uns der Fahrtpreis abgenommen - vielleicht schaffen wir es doch noch, vor Mitternacht in Lijang zu sein... Glücklich um die Eile setzen wir uns im Bus und warten auf die Abfahrt. Als wir dann eine halbe Stunde später fragen, wann denn die Abfahrt geplant ist, sagt man uns: Unmittelbar. Wir sehen uns auch bestätigt, als eine Viertelstunde später der Busfahrer einsteigt, und versucht den Bus zu starten. Aber der Bus weigert sich zu starten - die Motorverkleidung, welche sich im Innenraum des Busses, neben dem Fahrer befindet, wird geöffnet und nach einigen Manipulationen mit einem sehr (zu) grossen Schraubenschlüssel, der irgendwo hingeschlagen wurde, entschliesst sich der Motor doch noch zu starten. Der Bus setzt sich in Bewegung, aber Rückwärts! Wir fahren in eine entfernte Ecke des Busbahnhofes und der Motor wird wieder angehalten. Wir parken.

Mit unserer schon erlernten stoischen Ruhe warten wir und als dann bald 1 Stunde wieder vergangen ist, fragen wir wieder, wann denn die Abfahrt geplant sei. Erst jetzt entschliesst sich ein des Englischen unmächtigen Chinese uns den wahren Grund der Wartezeit zu verraten (aufgezeichnet auf einer 1 Yuan-Note): Ein grosser Erdrutsch hat die Strasseblockiert und die Polizei hat die Strasse gesperrt, wir sollten nun essen gehen und um 3 Uhr wiederkommen. Wie uns gesagt wurde, gehen wir essen und nach einem kleinen Streifzug durch "die wohl uninteressanteste Stadt Chinas" kehren wir um viertel nach 3 wieder zum Busbahnhof zurück, um unseren Busfahrer rauchend am anderen Ende des Areals zu finden. Wir gesellen uns zu ihm und versuchen, mittels vieler angebotener Zigaretten sein Wohlwollen und vielleicht eine etwas verfrühte Abfahrt zu erwirken - leider ohne nennenswerten Erfolg... einziger Erfolg war, dass wir nach einer Stunde Gespräch ca. 15 Chinesen rund um uns hatten, weil in dieser Stadt Foreigners noch was spezielles sind.

Um 5 Uhr gehen wir wieder zum Bus und installieren uns wieder. Zum Glück haben wir noch einige ungelesene Literatur! Um Viertel vor 6 kommt dann Hektik in die ganze Sache - der Bus wird wieder mittels Schraubenschlüssel angelassen und wir fahren zum Bus-Terminal, um dort bei der Abfahrt von der Polizei informiert zu werden, dass die Strasse immer noch nicht passierbar sei. Der Motor wird wieder abgestellt. Um halb sieben gilt's dann aber ernst: Das Gepäck wird nochmals festgezurrt und wir - fahren!!! Nach einigen Kilometern bleiben wir das erste mal stehen: Irgendwelche Probleme unter dem Bus - wir verlieren eine braune Flüssigkeit (neben dem obligaten Wasser aus dem lecken Kühler). Nach nochmals einigen Kilometern und der Erkenntnis, dass unser Bus keinen 1. Gang hat (Rauch aus dem Motorblock beim mühsamen Anfahren am Hang, der ganz eindeutig von der Kupplung kommt) bleiben wir wieder stehen.

Was wir verlieren ist Bremsflüssigkeit! In einem nahegelegenen Laden wird dann ein Stück Gartenschlauch gekauft, und innert 30 Minuten 1. wird  die Bremsanlage mittels diesem Schlauch repariert und 2. mit chinesischem Schnaps wieder aufgefüllt (in Ermangelung von Bremsflüssigkeit). Wiederum wird der Motor in Gang "geschlagen".

Nach einigen weiteren Kilometern müssen wir wieder halten: der Motor ist überhitzt, weil kein Wasser mehr im Kühler ist. Wir haben (in weiser Voraussicht) einen Kanister mit Wasser auf dem Dach und nach einigen Minuten kann es dann auch wieder weitergehen. Die Strecke sieht schrecklich aus: In den letzten Tagen muss es hier ein unglaubliches Unwetter gegeben haben. Die Strassen sind alle paar Kilometer mit kleineren und grösseren Erdrutschen bedeckt, welche zwar passierbar sind, aber noch nicht weggeräumt sind. Andere Passagen der Strasse sind unter Wasser und etliche Häuser wurden unter den Erdrutschen begraben oder wurden weggewaschen - wie die Strasse manchmal auch...

In diesem Kontext ist es natürlich interessant, wie ein Bus ohne 1. Gang diese Passagen durchquert: Wir müssen Schwung holen und mit vollem Karacho über die Stelle hinwegbrettern, um den Motor nicht abzuwürgen, was etliche male passiert ist. Wieder in Gang gebracht mit dem üblichen Öffnen des Motorraumes und dem Schlagen des Motors holt man mit dem Rückwärtsgang wieder Anlauf. Im Bus hebt es uns manchmal richtig aus den Sitzen und schlägt uns wie wild herum - die ersten paar mal macht's ja noch Spass, aber dann beginnt man diese Stellen zu hassen.

Irgendwann kommen wir dann an die Stelle, welche die Sperre überhaupt notwendig gemacht hat: Ein riesiger Erdrutsch, der die ganze Strasse mitgenommen hat und ca 15 m hoch mit Schutt und Schlamm überdeckt hat. Mit schweren Maschinen wurde ein kleines Trassé herausgebaggert. Wir nehmen wie üblich Anlauf, aber dieses Mal reicht's leider auch mit Anlauf nicht aus - wir bleiben im Achshochen Schlamm stecken und können weder vorwärts noch rückwärts. Da heisst es: alles austeigen und im knöcheltiefen Schlamm neben dem eigentlichen Fahrtrassé der Strasse entlanggehen und hoffen, dass es unser Bus doch noch schafft, durchzukommen. Nach 4 Anläufen schafft er es doch noch, zu unser aller Erleichterung, denn die Strasse ist  verlassenen und die nächste Siedlung etliche Kilometer weg.

Als die Dunkelheit einbricht wundern wir uns, warum unser Bus immer noch nicht die Lichter einschaltet. Wir bekommen die Antwort beim nächsten Halt: sie funktionieren schlicht und einfach nicht. Innert 20 Minuten wird der Kabelbaum hinter der Verkleidung hervorgeholt und siehe da: die Lichter gehen wieder an: alles wieder einsteigen. Aber so einfach kann es doch nicht sein...

Die Lichter nehmen so viel Energie weg, dass es nicht mehr zum starten des Motors ausreicht - nochmals fieberhaftes Auseinandernehmen der temporären Einrichtung - starten des Motors und wieder zusammenflicken der Lichtanlage. Wärend einiger Stunden passiert nichts interessantes mehr. Um 1 Uhr morgens halten wir zum Essen. Auf die Frage hin, wie lange noch die Fahrt dauern wird, gibt uns der Fahrer 2-3 Stunden an. Um ca. 3 Uhr sind wir alle am dösen, bis wir von unbändigem Lärm am Chassis des Busses geweckt werden. Was ist passiert?

Wiederum in einem Erdrutsch liegt auf unserer Seite ein riesiger Felsbrocken auf der Strasse. Auf der anderen Seite leider auch. Die Distanz zwischen den Brocken ist so klein, dass der Busfahrer - zu schnell hinheingefahren - auf der einen Seite, unserer Seite, den Brocken touchiert hat und auf der halben länge des Busses das Blech eingedrückt hat. Da wir leider nicht vorwärts fahren können, müssen wir wieder zurück. Vielleicht hat der Fahrer nicht anders gekonnt, aber wir haben während des Rückwärtsfahrens wieder das gleiche Blech noch weiter eingedrückt... (sah am nächsten Morgen wirklich hässlich aus). Beim zweiten Anlauf ging's dann aber wieder glatt.

Um 7.30 (2-3 Stunden später): Ha! - kommen wir dann in Lijang an, welches uns Übernächtigten mit schwerem Regen empfängt. Genug ist genug, denken wir und leisten uns mit der Kreditkarte (keine normalerweise für uns erschwingliche Hotels akzeptieren Karten) einen guten Schlaf im "Lijang Grand Hotel", welches uns dann gelegentlich um 10.00 nach 2 Stunden Dösen in der Hotelhalle in das Zimmer lässt. Uff, auch diese Strecke hätten wir geschafft!